Samstag, 3. Dezember 2011

Nur ein kleiner Bär von Elsa Rieger


Papas Glubschaugen quollen noch weiter hervor; bald würden sie die Brille sprengen.

Er stammelte: „Ich ... ich hab im Lotto ...“

Dann verstummte er und schwankte ein bisschen. Wir saßen in der Küche, mein kleiner Bruder Thom riss die Augen auf wie Papa. Mama briet gerade Eier, wie an jeden Feiertag – erst brunchten wir, dann machten wir einen Ausflug. Sie drehte sich grinsend um.

„Wieviel ist es denn diesmal? Zehn Euro?“

Wir alle wussten, wie sehr Papa auf den Haupttreffer wartete. Alle paar Wochen – er spielte nur, wenn es einen Jackpot zu knacken galt – hing er zur Ziehung vor dem Fernseher. Gestern hatte er eine Sitzung in der Uni und konnte erst heute im Internet das Ergebnis studieren.

„An Peanuts bin ich nicht interessiert“, sagte er, wenn wir ihn aufzogen. Als ob eine Million nichts wäre!

Und nun stand er da und stotterte, nachdem er zuvor die Lottoseite gecheckt hatte. Der Schein in seinen Händen bebte.

„Nicht im Ernst! Du machst doch Spaß, Werner?“, sagte Mama.

Es roch verbrannt. Ich stürzte mich auf die Pfanne und schob sie von der Platte.

„Keine blöden Eier heut“, sang Thom vergnügt und schmierte Nutella auf den Toast und sein Shirt.

„Doch, ich meine, nein, kein Scherz.“ Papa hielt den Schein über seinen Kopf und auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Er machte einen Luftsprung. Als er auf dem Holzboden landete, schepperten die Gläser im Schrank.

Ein schriller Juchzer teilte die Luft, er kam von Mama, gefolgt von einem Knall, als die Bratschaufel in der Spüle landete. Und ich? Als Vierzehnjährige ist man gesegnet mit Wünschen.

„Wieviel?“ Meine Stimme klang wie Staub, ich hustete. „Wieviel, Papa?“

Er sah mich an. „Genug, Baby, um euch die Sterne vom Großen Bären zu kaufen.“ Als Astronom liebte er solche Aussprüche.

Er hatte tatsächlich einen Fünfer mit Zusatzzahl, kein Scheiß! Knapp hundertfünfzigtausend Euro wert. Und das kurz vor Weihnachten! Da würde doch für mich auch was rausspringen, nech?

„Wenn einer von euch nur einen Muckser darüber verlauten lässt, reiß ich ihm das Herz raus“, sagte er.

Wir hielten Familienrat ab.

„Ich will den neuen Nintendo!“ Thom unterstrich die Forderung mit einem Hopser. Er machte Papa alles nach.

Ich ratterte herunter: „Nachdem dein Gewinn mit Weihnachten zusammen fällt, wünsche ich mir Laptop, Silberstiefel von DKNY, den Ledermantel von H&M, ’nen Vollbodenflokati, ein rundes Bett in Rosa und endlich Dreadlocks um zweihundert Euro, Nagelstudio ...“

„Stopp“, brüllte Papa und verstaute die Quittung in seiner Brieftasche, „ich wollte jedem von euch einen Stern kaufen.“

„Ich will einen Nintendo“, heulte Thom und rotzte ins Nutellaglas; Mama nahm es ihm schnell weg. Gott sei Dank esse ich das Zeug nicht.

„Einen Stern?“ Mamas Augenlider flatterten.

„Warum?“ Vor Entsetzen riss ich mir ein Büschel Haare heraus.

„Weil Sterne haltbar sind“, sagte Papa bestimmt.

„Komm“, Mama bewegte sich langsam auf ihn zu und nahm ihn an der Hand, „lass uns in aller Ruhe überlegen.“ Sie führte ihn zu seinem Stuhl und drückte ihn sanft darauf nieder.

„Behandle mich nicht wie einen Schwachsinnigen, Rita.“

Sie lächelte auf ihn herab; ich sah ihr an, dass sie in ihrem Hirn nach Argumenten grub, um zu beweisen, dass er sich tatsächlich wie ein Irrer aufführte.

Sterne! Ich wusste schon lange, dass Astrophysiker einen Knall haben.

(...)


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