Montag, 3. Dezember 2012

Weihnachtliches Wunder von Angela Planert




„Wer ist da?“, forderte die Männerstimme im energischen Ton. Auf diesem hinteren Flur, der unter der großen Treppe, die nach oben führte, lag, war die Finsternis so mächtig, dass Erylan die Luft wegblieb. Hier hinten konnte man nicht mal die eigene Hand vor Augen sehen. Keinen einzigen Schritt traute er sich weiter zu gehen. Zurück konnte er aber auch nicht.
„Sprecht! Wer seid Ihr?“
Erylan klopfte das Herz bis zum Hals, sein Atem war flach und seine Hände fühlten sich feucht an. Langsam drehte er den Kopf zur Seite und schaute zurück. Im Türrahmen zu jenem Zimmer erkannte er die Silhouette eines groß gewachsenen Mannes. An dieser Gestalt gab es kein Vorbeikommen. Ihm blieb nur die Flucht weiter in die Dunkelheit. Am Ende des Flures gab es drei Türen, dies wusste er. Plötzlich war sein Kopf leer. Ihm wollte es nicht einfallen, wie die Zimmer angelegt waren, wie er dieses Haus verlassen konnte, ohne dem Fremden in die Arme zu laufen.
„So gebt Euch doch zu erkennen! Wenn Ihr eine Bleibe sucht, so wird sich etwas finden.“ Die Stimme klang freundlich, fast sympathisch. Erylan überlegte, welcher Anlass diesen Fremden hierher verschlagen haben könnte. Wer nachts in leer stehende Häuser eindrang, sollte jedenfalls kein Ordnungshüter sein. Seine Flucht erschien ihm in diesem Moment recht lächerlich.
Andererseits könnte der Fremde böse Absichten verfolgen. Erylan besaß außer den Kleidern am Leibe nichts, um was man ihn hätte erleichtern können. Seine Gedanken waren fehl am Platz.
„Wenn Ihr erlaubt, werde ich ein Holzscheit in die Glut legen, dann können wir uns gemeinsam aufwärmen.“ Der Fremde wartete keine Antwort ab, drehte sich um und ging, verschwand damit aus seinem Blickfeld. Erylans Ängste und Zweifel waren wie weggeblasen.
Eine seltsame Situation. Möglicherweise suchte der Fremde auch nur nach einem warmen Obdach für die Nacht. Vielleicht war er genauso einsam, wie er selbst. Es gab keinen Grund sich zu verstecken, keinen Grund davon zu laufen. Langsam, denn jeder Schritt war schmerzhaft, ging Erylan den Flur zurück. Deutlich spürte er etwas Feuchtes unter seinen Fußsohlen. Am Türrahmen angekommen, blieb er kurz stehen und schaute ins Zimmer. Der Fremde hockte vor dem Kamin, er sah nicht einmal auf, als Erylan näher kam.
Das schulterlange dunkle Haar verdeckte hängend das Gesicht.
„Eure Füße“, dabei pustete er kräftig in die Glut, bis das Holz Feuer fing, „müssen verbunden werden.“ Er klang ehrlich, fast fürsorglich. 

Leseprobe aus "Weihnachtliches Wunder" , erhältlich bei amazon und beam