Sonntag, 23. Dezember 2012

Weihnachts-Burn-out von Sigrid Wohlgemuth



„Wo sind die Streichhölzer“, rief Rüdiger in den Flur.
„Für was brauchst du sie?“, fragte Verena, seine Verlobte.
„Für den Adventskranz.“
„Für was?“ Verena stand plötzlich in der Tür.
„Ich möchte zum Frühstück die vier Kerzen am Adventskranz anzünden.“
„Welche Kerzen?“
Rüdiger sah sie erstaunt an. „Schläfst du noch?“
„Ich bin seit einer Stunde auf.“ Verena ging in die Küche und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen.
„Sagst du mir jetzt, wo die Streichhölzer sind?“, fragte Rüdiger ein weiteres Mal.
„In der dritten Schublade von unten im Wohnzimmerschrank. Obwohl ich immer noch nicht weiß, wofür du sie eigentlich brauchst. Du wirst doch nicht mit dem Rauchen anfangen?“, scherzte sie.
„Und ich kann dir immer und immer wieder nur zur Antwort geben: für die Kerzen am Adventskranz.“ Rüdiger zog die Lade auf und bemerkte nicht, dass Verena ihn dabei skeptisch beobachtete. Schnell wurde er fündig.
„Wo hast du den Adventskranz hingestellt?“ Suchend sah er sich im Raum um.
Verena stand, die Arme vor der Brust verschränkt im Raum. „Geht es dir gut?“
„Wieso nicht.“ Er war sichtlich genervt.
„Hast du Fieber?“ Sie ging einen Schritt näher auf ihn zu. Als sie die Hand ausfahren wollte, gen seiner Stirn schritt Rüdiger zurück. „Was soll dass?“
„Setz dich hin, Rüdiger, du machst mir Angst.“
„Was?“
„Du redest die ganze Zeit wirres Zeugs.“
„Ich tue was?“
„Dann erkläre mir endlich, was das mit diesem Adventskranz soll.“
Rüdiger sah ihr in die Augen. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Sie nickte.
„Willst du mir damit eins auswischen, weil ich am Mittwoch mit meinen Kollegen einen Trinken war, danach ziemlich angeheitert ins Bett fiel und dich versehentlich dabei aufweckte?“
Verena tippte sich an die Stirn.
„Dann erkläre mir doch mal, warum du den Adventskranz entsorgt hast? Er hat nicht eine einzige Nadel verloren.“
Es blieb für einen Moment still zwischen den beiden. Verenas besorgter Blick ruhte auf Rüdiger. Er wippte ungeduldig auf den Zehen.
„Setz dich.“ Verena deutete auf die Couch.
„Was soll der Quatsch? Ich will wissen wo der Adventskranz ist.“
„Wir haben dieses Ding nicht, was immer es auch ist.“
„Verena, es reicht. Der Scherz ist nicht mehr lustig.“
„Was ist mit dir Rüdiger? Hast du irgendetwas geschluckt?“
„Sag mal, spinnst du jetzt total? Was soll ich geschluckt haben, den Adventskranz?“
„Kann man ihn denn essen?“
„Verena“, schrie Rüdiger und riss die Balkontür auf.
„Mach zu, es ist kalt.“
„Ich brauche dringend frische Luft.“
„Dann geht es dir doch nicht gut. Soll ich den Arzt rufen?“
Rüdiger drehte sich um, schloss die Tür und blickte Verena in die Augen, die sorgenvoll auf ihm ruhten. „Du weißt wirklich nicht, was ein Adventskranz ist“, sprach er leise. Verena schüttelte den Kopf. Rüdiger atmete tief durch.
„Aber du weißt, dass wir später den Tannenbaum kaufen gehen, oder?“
„Rüdiger, du schmeißt mit Wörtern um dich, die ich nicht kenne.“
„Meine Güte“, er schluckte heftig, dann kniete er vor ihr nieder. „Verena du wirst doch nicht an Alzheimer leiden, dafür bist du viel zu jung!“
Sie schüttelte seine Hände ab, sprang auf. „Wer hier einen Riss in der Schüssel hat, dass bist du. Rüdiger, höre endlich damit auf, ich bitte dich, du machst mir wirklich Angst.“
„Du nimmst mich auf den Arm? Nur weil ich Weihnachten so liebe …“
„Rüdiger!“, schrie Verena, lief aus dem Zimmer und schloss sich im Bad ein.
(...)

©Sigrid Wohlgemuth 



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