Freitag, 13. Dezember 2013

In Liebe verzeihen von Kerstin Werner



Die drei Geschwister Erwin, Bernd und Klaus hatten sich zerstritten, als die Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Sie waren sich wegen dem Erbe nicht einig geworden. Notariell war nichts festgelegt von den Eltern, die Söhne sollten nach bestem Wissen und Gewissen das Erbe, welches nicht klein war, aufteilen. Da Bernd sich aber bereits bei den Eltern im Vorfeld Geld geliehen hatte, hätte er eigentlich weniger bekommen müssen. Nur das sah Bernd gar nicht ein. Danach gingen die Brüder im Streit auseinander und sahen sich fast dreißig Jahre nicht.
Als Klaus sechzig Jahre alt wurde, plante er ein großes Fest. Er sprach mit Erwin, ob es nicht an der Zeit wäre, mit Bernd Frieden zu schließen. Erwin war auf der einen Seite dafür, auf der anderen Seite war er immer noch verbittert. Aber sie beschlossen gemeinsam, Bernd anzurufen und sich noch vor dem Fest mit ihm zu treffen. Bernd sagte erstaunlicherweise auch sofort zu.
Sie trafen sich an einem Mittwochabend in der Dorfkneipe. Als Bernd auf die beiden zukam, lief Klaus ihm entgegen und umarmte ihn herzlich. Erwin blieb wie angewurzelt stehen und konnte Bernd zunächst nur die Hand zur Begrüßung reichen.
Nach dem Treffen fragte Erwin seinen Bruder Klaus: „Sag mal, Klaus, wie konntest du Bernd sofort so herzlich umarmen?“
„Weißt du, ich habe Bernd schon länger verziehen. Als mir klar wurde, dass verzeihen letztendlich nur etwas mit mir selbst zu tun hat, wollte ich den Groll, den ich da über Jahre mit mir rumschleppte, ablegen. Wer nicht verzeiht, tut sich selbst am meisten weh. Und die Gefühle von Wut, Zorn, Ärger und Hass spiegelten sich bereits in meinem Körper als Krankheit wieder. Somit wusste ich: Wenn ich nicht verzeihe, zerstöre ich mich mehr und mehr selbst. Und das wollte ich nicht. Ich wollte leben und gesund sein. Wenn ich die Verantwortung für meine Gefühle abgebe und dafür bei Bernd die Schuld suche, verharre ich in einer Sackgasse, die mich nur mehr und mehr ins Leid führt. Immer wieder kreisten meine Gedanken um Bernd, den „Täter“ und seine „böse Handlung“. Dies band Unmengen seelischer Energie in mir und beeinträchtigte mein halbes Leben. Es war für mich irgendwann an der Zeit, aus dieser Opferrolle auszusteigen. Um Bernd zu verzeihen, brauchte ich ihn nicht. Dies konnte ich ganz allein für mich tun. Und es war befreiend und erleichternd zugleich. Ich bin froh, dass dieses Kapitel endlich ruhen darf und der Vergangenheit angehört.“

Eine Geschichte aus dem Buch "Gefühle zeigen erlaubt", erhältlich als Printbuch oder Ebook bei amazon.

Homepage von Kerstin Werner: www.Autorin-mit-Herz.de