Dienstag, 9. Dezember 2014

Weihnachten in einer Berghütte! von Klaus Kurt Löffler


Foto Eva Joachimsen


»Und ich hatte mich so auf Schnee gefreut! «Meine Enkeltocher Lotte rief es enttäuscht, als wir mit unserem Gepäck den Lift verließen, der uns auf die Berghöhe hinaufgebracht hatte. Wir, meine Frau und ich, waren natürlich auch nicht froh über das, was wir sahen. Graugrüne Matten in trostloser Bergeinsamkeit.
Angefangen hatte alles mit einer Anzeige:
»Weihnachten im Schnee!
Berghütte für vier Personen
auf einer Hochalm!
Mit Sesselbahn erreichbar.«
Da wir in den letzten Jahre nur grüne Festtage erlebt hatten, erschien uns die Anzeige wie ein Wink des Himmels und wir hatten kurzentschlossen zugegriffen. Nun standen wir am 23. Dezember nach langer Anfahrt hier oben, der Wind pfiff uns unangenehm um die Ohren und uns war kalt. Von Schnee war nichts zu sehen. Die Kinder fingen gleich zu maulen an. Sie hatten sich auf Schlittenfahren gefreut, das jetzt ins Wasser fiel.
»Da hätten wir auch zuhause bleiben können!«, sagte Lotte. »Und ich hätte meinen Hamster bekommen!«
»Was fangen wir jetzt mit den Schlitten an?«, fiel Karo ein, unsere zweite Enkeltochter, und blickte auf unsere Winterausrüstung.
Wo war unser Quartier? Lotte war die erste, die ein schmuckes Holzhaus entdeckte, das für manches entschädigen konnte. Es war so groß, dass es sicherlich für die Kinder ein besonderes Zimmer gab. Und es befand sich sogar eine Fernsehantenne auf dem Dach. Etwas getröstet, strebten wir darauf zu. »Sie haben für uns schon eingeheizt!«, rief Karo. Und wirklich. Wir sahen es auch. Rauch stieg aus dem Schornstein. »Dann wird es vielleicht doch nicht so schlimm!«, sagte ich und legte die letzten Meter mit wachsendem Optimismus zurück.
Die Haustür war unverschlossen. Als wir sie öffneten, stürze ein Hund auf uns zu und bellte. Das rief eine behäbige Frau herbei, die erstaunt auf unser Gepäck blickte und unwirsch sagte: »Wir vermieten nicht! Das ist privat!« Als wir ihr verwirrt die Anzeige unter die Nase hielten, wurde sie freundlicher. »Ach, da wollt´s hin!«, äußerte sie und ihr Ton klang fast mitleidig. »Zu der Hütten am Wald! ... Da wünsch ich viel Freud!«
Sie zeigte uns den Weg und wir stiefelten los. Nach der Reaktion der Frau war uns schon klar, dass wir unsere Erwartungen herabschrauben mussten. Aber mit dem, was wir dann vorfanden, hatten wir nicht gerechnet. Die Wände bestanden aus rohen Baumstämmen, die aneinandergefügt waren. Irgendwie hatte man es noch geschafft, zwei Fenster und eine Tür einzupassen. Das Dach bildeten rohe Bretter, die mit Teerpappe gegen Feuchtigkeit geschützt und mit Steinen beschwert worden waren. Entsprechend spartanisch war das Innere des Hauses. Es bestand nur aus einem Raum, der in einzelne Bereiche aufgegliedert war. Auf der Türseite befand sich eine Sitzecke. Gegenüber standen nebeneinander zwei Hochbetten. Ein Schrank trennte sie von einer kleinen Küchenzeile, in der sich ein Propangasherd befand. Eine »Nasszelle« mit einem Plumpsklosett war angebaut und nur von außen zu erreichen.
Meine Frau und ich waren so erschlagen, dass wir uns erst einmal wortlos auf die Stühle fallen ließen, die um den groben Holztisch herumstanden. Die Kinder stellten unterdessen fest, dass es Strom nur mit einem Generator gab und ein Fernseher fehlte.
»Wo ist die Heizung?«, fragte meine Frau. Ich deutete auf einen Kamin, der aus Steinen hochgemauert war. »Das Holz liegt vor dem Haus!«, setzte ich erklärend hinzu. »Wir heizen gleich ein. Den Kindern wird es Spaß machen.« Das war aber nicht so. Es dauerte endlos, bis wir ein Feuer in Gang bekamen. Kurz darauf war der Raum mit beißendem Qualm gefüllt. Mit dem Abzug war etwas nicht in Ordnung. Eine Leiter war vorhanden Ich stieg aufs Dach und fand die Ursache. Eine Siebenschläferfamilie hatte im Schornstein ihr Winterquartier bezogen.
Als das Nest entfernt war, funktionierte der Kamin. Aber wir hatten Hausgenossen, die im Winterschlaf lagen. Wir verfrachteten sie erst mal unter eine Bettstatt. Denn wir brachten es nicht über das Herz, die Tiere vor die Tür zu setzen. Frustriert wie wir waren, legten wir uns früh zum Schlafen hin und dachten über die Ungerechtigkeiten der Welt nach.
Am anderen Morgen wurden wir von einem frohen Geschrei geweckt. »Seht doch, dort draußen!«, rief Lotte. Und Karo fiel ein: »Es ist wunderbar!«
Mit einem Satz waren wir aus dem Bett. Und dann sahen wir es auch: Es hatte geschneit. Die Alm hatte sich in eine weiße Wunderwelt verwandelt. Die hohen Tannen um das Haus waren mit einem dicken Schneepolster bedeckt, als hätte der Weihnachtsmann sie mit weißer Watte ausgeschnückt. Der schmutzige Rasen hatte sich in strahlendes Weiß gehüllt. Es war klar, dass sich die Kinder gleich mit dem Schlitten nach draußen stürzten.
Meine Frau aber blickte besorgt. Wie sollte sie auf dem kleinen Kocher ein Weihnachtsessen herzaubern? »Dann lassen wir einfach die Kocherei!«, sagte ich. Aber ich dachte mit Schrecken an die enttäuschten Gesichter der Kinder.
Am Nachmittag klopfte es an der Tür und unsere Nachbarin brachte uns einen selbst gebackenen Kuchenkranz, in dem vier Lichter steckten. Und unter dem Kranz lag eine bunte Karte mit der Inschrift:
Ihr seid heute Abend zum Weihnachtsessen bei uns eingeladen!
Natürlich folgten wir der Einladung mit Freuden.  Die Nachbarin hatte sich mit dem Essen große Mühe gegeben und wir vermissten nichts. Sogar ein Weihnachtsbaum war da, dessen Kerzen brannten.
Am ersten Feiertag erlebten die Kinder dann noch eine andere Überraschung. Nachdem sie sich wieder ausgiebig mit Schlittenfahren vergnügt und einen Schneemann gebaut hatten, fanden sie in der Hütte possierliche Spielgefährten vor. Die Siebenschläfer waren aus dem Winterschlaf erwacht und erwiesen sich als sehr zutraulich. »Die sind ja noch viel munterer als ein Hamster«, sagte Lotte. »Und jetzt hat sogar jeder ein eigenes Spieltier«, fügte Karo hinzu. So wurde es für uns alle doch noch ein wunderschönes Weihnachtsfest!

© Klaus Kurt Löffler


Klaus Kurt Löffler:
Als studierter Jurist war ich zuletzt als Vorsitzender Richter am Landgericht tätig. Nach meiner Pensionierung habe ich während eines Aufenthalts in St. Wolfgang am Wolfgangsee mit dem Schreiben von Jugendbüchern angefangen. Der Schauplatz und meine beruflichen Erfahrungen wollten es, dass es Detektivgeschichten wurden, in denen die Landschaft eine entscheidende Rolle spielt. Es steht bei mir aber nicht das Verbrechen, sondern das hinter ihm stehende Rätsel im Vordergrund. Denn meine Junior- Detektive lösen ihre Fälle mit Köpfchen.