Dienstag, 15. Dezember 2015

Der Feentanzplatz von Carolin Olivares



Bild von Marita Sydow Hamann

Nachdenklich kratzt sich Herr Petzold, der Förster, am Kopf. Was ist nur los in seinem Wald? Gestern Abend hat er zehn Tannen aus seiner Baumschule vor dem Weißdornbusch auf dem kleinen Hügel abgelegt. Hier lagert Herr Petzold immer die gefällten Bäume, bis sie zur Möbelfabrik abtransportiert werden. Die hübschen, kleinen Tannen aber möchte er nicht dorthin bringen. Die sind nicht für Möbel bestimmt.
Nein! Schon bald werden Menschen aus der Stadt und den Dörfern in den Wald kommen, um sich einen Weihnachtsbaum auszusuchen. Die Tannen des Försters sind weit und breit die schönsten Christbäume. Das weiß jeder!
Jetzt gerade ist Herr Petzold allerdings ziemlich durcheinander. Die eine Sache, die ihn beschäftigt, ist, dass dieser Weißdornbusch, immer noch blüht. Und morgen ist der erste Dezember! Die zweite komische Sache ist noch viel schlimmer! Die schönen Tannenbäume sind nämlich schon wieder mit klebrigen, silbernen Klecksen bedeckt. Das ist bereits das zweite Mal. Langsam wird er wütend, denn einen solchen Christbaum will niemand haben.
„Siehst du Papa“, ruft sein achtjähriger Sohn Dirk triumphierend, „das ist von feindlichen Agenten, die den Wald kaputtmachen wollen.“
„Blödsinn“, schreit Lisa, seine siebenjährige Tochter, „das ist von den Feen. Die sind sauer, weil Papa seinen Kram auf ihren Feenhügel wirft.“
Herr Petzold bereut es, dass er seine Kinder mitgebracht hat.
„Also wirklich!“ Er ist jetzt sehr ungehalten. „Das mit den feindlichen Agenten ist schon Blödsinn. Das mit dem Feenhügel ist aber erst recht Quatsch!“
„Erna hat es gesagt und die weiß Bescheid“, kräht Lisa beleidigt.
Herr Petzold seufzt. Die alte Haushälterin im Forsthaus hat komische Ideen. Natürlich glaubt Herr Petzold nicht an Feen. Er ist ein großer blonder Mann mit Bart und immerhin der hiesige Förster.
Fürs Erste bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine streitenden Kinder nach Hause zu fahren. Dann macht er sich daran, die besudelten Bäume in einem Lastauto abzutransportieren.
Herr Petzold will aber unbedingt wissen, was es mit dem klebrigen Silberzeug auf sich hat. Da kommt ihm eine Idee. Er fällt drei Bäume in der Baumschule, aber solche, die nicht gut gewachsen sind.  Die lädt er wieder vor dem Weißdornbusch ab. Zufrieden reibt er sich die Hände.

In dieser Nacht, als alle tief und fest schlafen, schleicht Herr Petzold aus dem Haus. Leise geht er zu dem Platz mit dem kleinen Hügel und duckt sich unter die weit ausladenden Zweige einer Fichte gegenüber von dem Weißdornbusch. Jetzt liegt er auf der Lauer, seine Flinte griffbereit neben sich. Es ist sehr unbequem, denn wie gesagt, Herr Petzold ist groß. Der Vollmond beleuchtet den Platz vor dem Weißdorn, so dass er alles gut sehen kann. Eulen rufen und überall raschelt es. Das ist aber nichts Ungewöhnliches nachts im Wald.
Doch plötzlich, so gegen Mitternacht, vernimmt der Förster ein Geräusch, das nicht in den Wald passt. Es hört sich an wie zartes Klingeln. Vorsichtig späht er durch die Fichtenzweige. Kleine Lichtfunken wirbeln um die Stämme und klingeln wie verrückt. Eichhörnchen und Wühlmäuse machen sich erschrocken aus dem Staub.
Ungläubig reibt sich Herr Petzold die Augen. Die Fünkchen sind gar keine Fünkchen, sondern winzige silberne Gestalten mit Flügeln. Nach einer Weile hört er Worte in dem Geklingel.
Viele feine Stimmchen rufen etwas, erbost und zornig. “Schon wieder Holz auf unserem Feentanzhügel. Verrückter Förster!“
Da erschrickt Herr Petzold sehr. Auf allen vieren hat er sich ganz weit nach vorne gebeugt. Jetzt wurschtelt er sich hastig wieder nach hinten unter die schützenden Zweige. Aber dabei macht er ein Geräusch. Sofort verstummen die Feen, erstarren im Flug und sehen alle gleichzeitig in seine Richtung.
„Der Förster, dieser hinterhältige, gemeine Mensch“, ruft eine wütend.
Wie zornige Hornissen fliegen alle Feen gleichzeitig auf ihn zu. Der arme Herr Petzold geht in Deckung. Voller Angst rutscht er auf dem Hosenboden immer weiter nach hinten, bis er sich ganz und gar in den Zweigen verfangen hat. Die Spitzen der Nadeln bohren sich in seinen Po. Das tut weh. Noch schlimmer aber ist, dass er nun festsitzt. Er kann nicht mehr weg. Unter der Fichte hockend schaut er mit großen Augen den Feen entgegen, die ganz knapp vor seinem Baum bremsen. Dort hängen sie knapp über dem Boden in der Luft und starren ihn böse an.
„Na, was soll denn das?“, ruft die Fee, die Herrn Petzold am nächsten ist.
Da besinnt sich der Förster darauf, dass er eine Respektsperson ist. So wie er da zusammen gekauert hockt, also das geht nicht! Er wurschtelt sich aus den Zweigen, krabbelt nach vorne und richtet sich zu voller Größe auf.
Ob das eine gute Idee war?, denkt er erschrocken, als die Feen blitzschnell auf sein Gesicht zufliegen und knapp davor bremsen.
Eine von ihnen sitzt ihm fast auf der Nase. Um sie anzusehen, muss der arme Mann schielen. Die Fee hat grüne Augen, kurze helle Haare und trägt einen eng anliegenden silbernen Anzug.
„Warum machst du denn so etwas?“ Sie stemmt die Hände in die Hüften und runzelt die Stirn.


„Was, ähm, was denn?“, fragt Herr Petzold mit zitternder Stimme, obwohl er so eine Ahnung hat.
„Du kannst doch dein blödes Holz nicht auf unseren Tanzhügel werfen!“ Das kleine Wesen schnaubt vor Empörung.
„Es, es tut mir leid“, erklärt Herr Petzold kläglich, „das habe ich nicht gewusst. Er fühlt sich furchtbar.
Weil er so armselig dreinschaut, haben die Feen Mitleid mit ihm.
„Wir sind Mondscheinfeen“, erklärt die Kleine vor seiner Nase milde, „ich bin Prinzessin Twilla.“ Etwas strenger fügt sie nach einer Weile hinzu. „Wir fordern, dass das Holz entfernt wird. Tust du das nicht, werden wir die Stämme weiter bespucken.“
Feenspucke, denkt der Förster, auf meinen Bäumen klebt Feenspucke. Irgendwie findet er das auf einmal komisch.
„Natürlich“, sagt er lachend, „natürlich lagere ich das Holz nicht mehr auf eurem Tanzhügel.“
Jetzt blicken ihn die Feen liebevoll an. Twilla fliegt auf seine Nasenspitze und gibt ihm einen Kuss.


Noch in der gleichen Nacht entfernt der Förster die Stämme. Dann sieht er den Feen beim Tanz zu. Er erfährt sehr viel vom Leben und von den Gewohnheiten des Feenvolkes. Künftig bespricht Herr Petzold sich immer zuerst mit Erna, wenn er in seinem Wald etwas vorhat. Er will wissen, ob es ihrer Meinung nach den Feen recht ist. Manchmal klopft Twilla in einer Vollmondnacht an sein Fenster. Dann fliegt sie voraus in den Wald zu einem schönen, geheimen Platz und Herr Petzold folgt ihr. Dort führen die Feen ihm ihre Tänze vor und bewirten den Förster mit einer Tasse Mondscheintee.


Carolin Olivares Canas ist Kultur- und Bibliothekswissenschaftlerin. Nach wissenschaftlicher Tätigkeit mit Forschungsaufenthalten in Namibia war sie in der Familienbildung, in Schulen und einer Grundschulbücherei beschäftigt. Für ihre Workshops für Grundschulkinder zu unterschiedlichen Themen schrieb sie die erforderlichen Geschichten selbst. Seit 2011 arbeitet sie als selbstständige Antiquarin mit den Schwerpunkten Kinderbuch und Kulturgeschichte. "Anna im verborgenen Königreich" ist ihr erstes Kinderbuch.
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